Sonntag, 20. Juli 2014

Des Weines Komponist

Der Wein ist das Werk, die Lage sein Komponist und der Winzer ist der Interpret. So hieß es in Stuart Pigotts zweiter Staffel des Tv-Formats "Weinwunder Deutschland" in einer Folge nur zum Thema "Lage". Wir sehen also schon, die Lage ist sehr wichtig! Manche vergöttern sie, andere wiederum messen ihr eher weniger Bedeutung zu, setzen eher auf die Technik im Keller. Doch eines ist gewiss: Ohne Lage kein Wein! Ohne Lage keine typischen Moselkabinette, keine Top-Weine à la J.J. Prüm, Egon Müller, Weins-Prüm und und und!
Doch was ist das eigentlich, eine "Lage"? Und was macht sie zu dem, was sie ist?

Laut "Brockhaus Wein" kann man den Begriff "Lage" in den deutschen Weinbaugebieten (Informationen zu anderen Weinbauländern siehe am Ende des Artikels) in Einzellage und Großlage unterteilen:
  • Einzellage: abgegrenzte Weinbergsfläche innerhalb eines Anbaugebiets; als Herkunftsbezeichnung für Qualitätswein; meist schon seit hunderten von Jahren existent
  • Großlage: Zusammenfassung mehrerer, benachbarter Flächen innerhalb eines Anbaugebiets; Schaffung durch Weingesetz von 1971; ermöglicht größere Mengen Wein mit gleichem Namen und Etikett
Dabei sorgt die Großlage oftmals für Diskussionsstoff in der Weinszene, da oft höchst unterschiedliche Parzellen und Flächen mit unterschiedlicher Charakteristik unter einem Namen vereint werden.

Die Lage "Westhofener Kirchspiel" im März 2013
Neudeutsch wird die Lage auch als "Terroir" bezeichnet. Der Begriff kommt aus dem Französischen und umschließt in seiner Bedeutung (auch darüber streiten sich die Geister) eigentlich all das, was die Rebe bzw. die Beeren im Weinberg (also außerhalb des Kellers und vor der Lese) beeinflusst. Das wären beispielsweise die Bodenart, seine Beschaffenheit in Bezug auf Wasseraufnahme und -durchlässigkeit, das Klima, die Ausrichtung (Südhang, etc.) Sonnenstunden pro Jahr, und so weiter und so fort. Und (ja, einige werden mich jetzt steinigen wollen) genau das ist es, was auch ich unter Lage verstehe. Jetzt werden mir hier einige Leute Sätze wie "Oh je, was für ein Esoteriker..." oder "Das ist doch viel zu hochgestochen und kompliziert, Wein geht viel einfacher!" an die Stirn donnern. Doch diese schicke ich guten Gewissens weiter zu Winzern wie Dirk Würtz, Andreas Gei, Marc Weinreich, Horst Sauer, Christin Jordan, und wie sie alle heißen. Solche Leute sollen diese Winzer einmal fragen, wie viel zwei Tage mehr Sonne oder weniger ausmachen. Oder ein Tag Regen bzw. ein halber Liter mehr. Die Antwort wird sie verblüffen. Ja, Wein ist so kompliziert und vor allem differenziert! Der Weinberg an sich ist ein durchaus kompliziertes und sensibles Ökosystem. Und ja, ich sage das frei heraus, ich finde das geil! Das fasziniert mich! Deal with it!

Der Wein ist das Werk, die Lage sein Komponist und der Winzer ist der Interpret. Diese Metapher an sich ist genau genommen eine Wertung. Am Anfang steht die Lage, die den Wein, oder zumindest dessen Grundstoff schafft. Der Winzer interpretiert den Wein später "nur". Und am Anfang war auch die Lage (oh jeh, das bietet jetzt Stoff für Diskussionen à la Henne und Ei)! Doch für mich klingt das vollkommen logisch, oder etwa nicht?! ☻

Um diesen Eintrag hier nicht zu einschlägig und langweilig zu gestalten habe ich mir die Zeit genommen einige Personen aus der Szene anzuschreiben, mit der Aufgabe, einen Satz zum Thema Lage von sich zu geben oder das Thema Lage in einem Satz zu beschreiben (einige Interviewte haben ihr Können unter Beweis gestellt, sehr lange Sätze formulieren zu können). Hier sind die (wie ich finde) schönen, lustigen und einen-Denkanstoß-gebenden Antworten.

 "Terroir ist Illusion, Vision, Imagination, Expression!" Susa vom "Nachbarblog" hundertachtziggrad

 "Die Weinlage ist ein geographischer Qualitätshinweis, der durch weitere Spezifizierung der Weinherstellung, der kulturellen Tradierung und/oder des regulativen Herkunftsschutzes eine umfassende Qualitätserwartung erzeugen kann,     die weit über eine deskriptive Qualitätsaussage hinausgeht (Terroir)." - Mein Namensvetter Thorsten von Winethor

 "Der Begriff Lage ist seit einer Flurbereinigung im Jahre 1971 und dem Auflassen Jahrhunderte alter Klein- und Kleinstlagen zum effekthaschenden Werbemittel verkommen, welches dank herkunftsbewusster Winzer und letztlich eines hier richtungsweisend nach französischen Vorbild denkenden VDP wieder mehr an Bedeutung gewinnt und heute - der Begriff bleibt natürlich weiterhin Werbemittel - einer der vielen möglichen Schlüssel zur Qualität, Terroir und Trinkfreude sein kann, somit Verkaufsförderer einer sich ebenfalls ändernden Kundschaft ist." - Bloggerkollege Alex Schilling von derWeinblog 

 "Die Lage ist das, was Wein seinen Charakter verleiht, oder eben auch nicht." - Martin Koessler von der K&U Weinhalle, Deutschlands polarisierendster Weinhändler (unbedingt mal auf der Website, gerne auch dem Blog durchklicken! Oder noch besser: ein Seminar besuchen!)

 "Die Lage ist die DNA eines Weines, durch Bodenbeschaffenheit und Klima gibt sie vor, welche natürlichen 'Talente' und 'Eigenschaften' die Trauben mitbringen; als Winzer sollte man wie in der Erziehung kleiner Kinder die Talente fördern und nicht versuchen die Schwächen auszugleichen; so entstehen aus einer Lage herkunftsgeprägte und authentische Weine." Winzer Benedikt Baltes vom Weingut Stadt Klingenberg


Die "Lage" in anderen Ländern (man beachte diese wortgewandte Zweideutigkeit):
  • Österreich: keine offiziellen Riedennamen (Riede=Lage) sondern nur Katastralbezeichnungen, die auf Etiketten geführt werden dürfen.
  • Frankreich: Lagennamen sind in bestimmten Regionen seit langem Tradition
  • Italien/Spanien: Seit den 1990ern durch Neufassungen der Weingesetze qualitätsrelevant
  • "Neue Welt": Kalifornien: auch seit 1990; Rest: eher ungewöhnlich bzw. gar keine Rolle

Liebe Grüße aus dem HQ Franken
Euer Thorsten