Donnerstag, 21. Juni 2012

VIN NATUREL

"Vin Naturel" - ein neuer Modebegriff in der Welt des Weins. Aber was ist das eigentlich, ein "natürlicher Wein"?
Zuerst einmal eine Definition: Auf www.la-vincallerie.de  heißt es in einem Auszug der Satzung der "Association des vins naturels" folgendermaßen:

"Der Saft einer gesunden Traube von einer Rebe im Einklang
mit der Natur wird durch Gärung natürlichermaßen zu Wein.
Im Idealfall mischt sich der Mensch nicht ein, er begleitet...
Und aus ethischen Gründen legt er offen dar, was er macht."

So, das klingt ja schonmal einleuchtend! Außerdem klingt das auch ziemlich vernünftig, denn so wurde auch früher schon Wein gemacht! Doch seit der Antike etwa wird Wein der längeren Haltbarkeit wegen geschwefelt.

Was also ist der Beweggrund, "naturnahen" Wein zu erzeugen?
"Im Idealfall mischt sich der Mensch nicht ein, er begleitet",dieser Satz erinnert mich an eine Aussage Horst Sauers vom Weingut Horst Sauer in Franken, die ich in Stuart Pigott's Produktion "Weinwunder Deutschland" aufgeschnappt habe. Damals fiel der weise Satz: "Als Winzer muss ich steuern und lenken, darf aber niemals manipulieren!" Liest man diese Zeilen, denkt man sich, dass das nichts mehr mit konventionellem Weinbau, dem Industriewein zu tun hat. Geht man noch einen Schritt weiter, wäre man bei den "Vins Naturels". Nicht manipulieren, aber auch nicht steuern und lenken, einfach geschehen lassen! 
Die Winzer verfolgen also die Philosophie, dass die Natur selbst waltet und schaltet und so ein hochwertiges, hundertprozentiges Naturprodukt entsteht. "Der da oben richt's scho", sagt man bei uns in Franken. Und so soll es in den Augen der "Vignerons Naturels" laufen.

Doch ab wann ist ein naturnaher Wein als solcher zu bezeichnen?
Vorerst zum Thema Schwefel. Schwefelfreie Weine gibt es nicht. Schwefel-Verbindungen gibt es überall. In der Luft, im Boden, Nachbar's Baum hat welche, und und und. Auch die Weintrauben nehmen ein bisschen Schwefel aus dem Weinberg mit, wenn sie weiterverarbeitet werden. Um trotzdem Richtlinien zu schaffen, wurde eine Obergrenze gesetzt. Und zwar von oben schon genannter "Association des vins naturels" (wie oft muss ich diese Organisation noch ausschreiben... ich kürze ab jetzt einfach mit "AVN" ab!). Solche Richtlinien gibt es auch für die EU, auch der Bioverband "Demeter" gibt welche vor. 
Die Richtlinie schreibt vor, dass ein echter Vin Naturel nur max. 30mg/l Schwefel (für Rotwein) oder max. 40mg/l Schwefel (für Weißwein) besitzen darf. Im Vergleich: In der EU-Richtlinie sind max. 150-200mg/l (Rotwein) oder max. 200-250mg/l (Weißwein) vorgesehen. Das ist ja ein ganz schöner Sprung! Sowas nenne ich konsequent und anerkennenswert. Natürlich ist der Wein dann also ein Naturprodukt im wahrsten Sinne des Wortes (dafür aber im Durchschnitt nur fünf Jahre im Keller lagerbar, bevor er getrunken werden muss! Aber das nur nebenbei). Doch auch auf viele andere Zusatzstoffe, wie Reinzuchthefe, Hefenährsalze, Zugabe von Sacchariden (Zucker), usw. verzichten die Winzer vollkommen! Ist doch krass, oder?!

Fassen wir also noch einmal zusammen:
"Vin Naturel" bekommt seinen Schwefel mit den Trauben aus dem Weinberg, die Obergrenze dafür liegt unter der jeder anderen Richtlinie und die Winzer "begleiten" nur, manipulieren aber nicht! 
Scrollt man aber weiter auf der Seite, auf der die Definition aufgeführt ist, so findet man heraus, dass Zugabe von Schwefel in Ausnahmefällen zur Förderung oder gar Rettung der Gärung gestattet ist.
Das hört sich auch wieder sehr vernünftig an, was bitte schön wäre Wein ohne die alkoholische Gärung? Die Richtigkeits-Fanatiker würden jetzt sagen: "Traubensaft". Was kann man dagegen einwenden, stimmt, aber so eine Flasche Wein ist uns ja sicher lieber als irgend so ein süßer Nektar...
Also, mein Fazit bis jetzt: Sehr vernünftig und sehr interessant!

Woher kommt der "Vin Naturel"?
Entstanden ist der Trend vor etwa zwanzig Jahren in Frankreich. Winzer dort wollten aus Überzeugung und Leidenschaft heraus ein Produkt schaffen, wie es ihnen die Natur vorgibt. Risikoreich ist diese Philosophie, nicht immer will die Natur so, wie man selbst. Bald wurde die "AVN"  gegründet, der viele, aber nicht alle der Winzer des "Vins Naturels" angehören.

Der Hype um den naturnahen Wein
Verbraucher heutzutage scheinen so aufgeklärt und zielstrebig wie noch nie. Sie wollen wissen was sie essen und trinken und versuchen durch Kauf und "Nicht-Kauf" gezielt den Weltmarkt zu revolutionieren und beeinflussen. Überall schießen Vereinigungen und Organisationen aus dem Boden, in denen Verbraucher für faire und gute Lebensmittel kämpfen. Und auch, wenn Wein nur als Kulturgut, ja Genussmittel gilt, so ist er doch Teil der Wirtschaft und die Konsumenten wollen und haben Einfluss darauf. Kunden wünschen ein ehrliches, gutes Produkt, mit einem offenherzigen und ehrlichen Produzenten, der dahinter steht. Im "Vin Naturel" haben sie das gefunden. Ein Produkt, wie es ehrlicher nicht sein kann, so, wie die Natur es geschaffen hat. Dafür steht diese Bewegung, für Offenheit gegenüber den Verbrauchern, für Ehrlichkeit gegenüber Mensch und Natur, für den Fortschritt durch Zurückdenken. Fortschritt bedeutet in den Augen der "Vignerons Naturels" die Technik zurückschrauben und der Natur Gehör verschaffen.

"Alter" Begriff - neue Bedeutungen
Wer kennt das nicht, kaum ist ein neuer Modebegriff in der Welt unterwegs, schon verändern sich die Bedeutungen oder es kommen neue hinzu. So auch im Fall des "Vin Naturel". Nicht nur zusatzstofffreie Weine sind heutzutage damit gemeint, sondern auch verrückte Weine. Beispiele dafür wären rote Silvaner oder ein Dessertwein aus der Traube Tempranillo, ein Spätburgunder ausgebaut im Sandkasten... Aber mal Spaß beiseite. Was es wirklich gibt, ist ein Riesling ausgebaut im Holzfass. Und zwar von Stephan Attmann vom Weingut von Winning, ausgebaut in 500, 600 und 1200-Liter-Fässern. "Ungeheuer 500" heißt er, nicht gerade überzeugend ist der Name, aber alles andere als irdisch ist er ja auch! 
Aber auch andere, vor allem Junge Wilde folgen dem Trend des Verrückten, Weine in ganz untypischen Verfahren und Arten auszubauen. Dies alles zählt man mehr oder weniger zum Modebegriff des naturnahen Weins.

PS: Die Idee mit dem Sandkasten könnte man ja mal im Hinterkopf behalten, wäre bestimmt interessant!